Familiengeschichte/ (Groß-)Eltern

Ulf

Ulf wurde Anfang der 90er Jahre in einer ostdeutschen Kleinstadt geboren und ist schon in frühen Pubertätsjahren in den Rechtsextremismus hineingewachsen. Als sein Vater verstarb, begann der 15-Jährige, meistens zusammen mit seinem besten Freund Delikte der Körperverletzungen zu begehen. Diese zielten zunächst auf ehemals ältere Schulkameraden aus der Grundschulzeit, die ihn damals abfällig behandelt hatten. Später richtete sich die Gewalt gegen alle Personengruppen, die, wie Ulf sagt, „anders waren wie wir“. In einer solchen Situation kam der Angegriffene ums Leben – ein um die 50 Jahre alter Obdachloser, mit dem Ulfs Mittäter seit langem als Trinkkumpane bekannt war.

In den beiden weiterführenden Schulen, die Ulf besuchte, wie auch am Ort insgesamt, war das rechtsextreme Milieu sehr ausgeprägt. Dies wurde jedoch von den Stadtoberen und dem Bürgermeister lange auf energische Weise verleugnet. Hinzu kam, dass auch Ulfs zehn Jahre älterer Bruder ein bekannter Name in der lokalen Szene war, bevor er die Stadt verließ, als Ulf ca. 9 Jahre alt war. Sowohl Ulf als auch sein Bruder sind durch ihre jeweils besten Freunde aus Kindertagen in die rechtsextreme Szene gelangt. Ulfs Mutter stand dem kritisch gegenüber und versuchte „zu diskutieren“. Sein Vater aber, zu dem Ulf „einen guten Draht hatte“, bestellte dem Jungen auf Wunsch rechtsextreme geprägte Musik, damit dieser in der Schule einen gewissen Notendurchschnitt hielt. Der Vater selbst scheint nicht politisch aktiv gewesen zu sein. Als allgemeine Lebensdevise vermittelte er Ulf, dass er „sich nichts gefallen lassen“ und „sich nicht erwischen lassen“ sollte.

Innerhalb der rechtsextremen Szene der Stadt hat Ulf sich vehement gegen illegale Drogen gewendet. In ernsthafter und teilweise kritischer Weise unterschied er zwischen verschiedenen Varianten innerhalb des rechtsextremen Spektrums. Bereits als Jugendlicher hat er sich zusammen mit seinem besten Freund in der Schule und Gemeinde „um Nachwuchs gekümmert“. Er hat damals „aber auch viel Scheiß gebaut“, womit er Exzesse der Provokation und körperlichen Gewalt unter Alkoholeinfluss meint. Diese waren ihm früh zu einem geradezu fieberhaften Bedürfnis geworden.

Bereits als Kind war Ulf, wie er sagt, „eher ein Raudi“. Als Grundschüler fand er bei seinen Klassenkameraden keinen Anschluss, weil er deren Spiele als uninteressant empfand. Dafür hat Ulf die älteren Mitschüler zu gewaltsamen Auseinandersetzungen provoziert oder „das Dorf unsicher gemacht“. Die große Bekanntheit seines Bruders in der örtlichen Szene hat Ulf‘ Einstieg in den Rechtsextremismus sehr befördert. Obwohl der Bruder schon lange in eine weit entfernte Stadt verzogen war, hatte sein Ruf u.a. zur Folge, dass Ulf in der Gesamtschule auf Anhieb Klassensprecher wurde und die Türsteher der Stadt ihn schützten. Ulf sagt, er sein vor allem deshalb in der Szenegewesen, „weil mir das Zusammenleben so gefallen hat … man war immer füreinander da“.

Während seines derzeitigen Gefängnisaufenthalts, durch den er eine mehrjährige Jugendstrafe verbüßt, hat sich Ulf vehement vom Rechtsextremismus abgewendet. Er fühlt sich enttäuscht und verraten. Seine Familie war ihm dabei eine große Hilfe. Nach der Entlassung wird er bei seinem Bruder in einem anderen Bundesland leben und versuchen, Arbeit zu finden. Ferner hatte er im Gefängnis zwei „schwarze Kumpel“ kennengelernt, die er, zu seiner Überraschung, sehr gut leiden konnte. Er hat ihnen dann bei sprachlichen und anderen Problemen geholfen. Ulf hatte vorher „nie einen Schwarzen getroffen“.

Als weiteren Faktor der Abwendung vom Rechtsextremismus führt Ulf an, dass er zufällig auf die Musikgruppe ‚Freiwild‘ gestoßen war, „die sich von beiden Seiten distanziert“ und Themen der „Ungerechtigkeit“ anspreche. Ferner unterstreicht Ulf die verschiedenen sucht-, gewalt- und sozial-therapeutischen Maßnahmen, an denen er teilnahm. Diese beruhten durchweg auf persönlichem Respekt und aktiver Teilhabemöglichkeit und haben in achtsamer und konsequenter Weise den Prozess der biographischen und politischen Auseinandersetzung unterstützt.