Trainer_/ Therapeut_innen
Juliane

Juliane ist ausgebildete Schauspielerin und in freischaffender, oft ehrenamtlich Weise als Theater-Pädagogin und Antigewalt-Trainerin tätig. Sie arbeitet in Gefängnissen, Schulen und anderen Institutionen. Zur sozial-präventiven Theaterarbeit war Juliane dadurch gekommen, dass sie als Mutter einer dunkelhäutigen Tochter in Berlin und Brandenburg einen praktischen Beitrag zur Prävention von Rassismus leisten wollte. Als Juliane in den 1990iger Jahren ihr erstes Konzept der Theaterarbeit für den Jugendstrafvollzug mit zu Aggression neigenden jungen Leuten entwickelte, war sie dort unmittelbar mit massivem Rechtsextremismus sowie verschiedenen migrations-bedingten Phänomenen von Hass und Gewalt konfrontiert.

In ihrer persönlichen Geschichte hatte Juliane in zweifacher Hinsicht rechtsextremistische Gewalt erfahren. Zum einen ist sie, nachdem sie viele Jahre in New York lebte, 1991 mit ihrer Tochter in Brandenburg von einer Gruppe Neonazis überfallen worden. Auch hatte sie, in Ostberlin und Brandenburg lebend, als alleinerziehende Mutter eines Kindes mit dunkler Hautfarbe viele rassistisch und sexistisch motivierte Anfeindungen erlebt („Negerfotze“, „Prostituierte“ etc.). Zum anderen war ihr Mitte der 1930er Jahre geborener Vater „ein Nazi“, der seinen Ende des Krieges als Obersturmbannführer umgekommen Vater zutiefst verehrte, Alkoholiker war, „Nazireden schwang“, und „uns verprügelte“ – sowie sich selbst „zu Tode gesoffen hat“. Aber auch Julianes Mutter neigte zu rassistischen Redensarten (Juden, Neger etc.). Sie konnte einen Film wie Schindlers Liste „nur ganz schwer ertragen“. Mit einem energischen „Wir sind doch auch Opfer!“ hielt sie dem Film die Vergewaltigungen und Morde durch russische Besatzungssoldaten entgegen, die sie wohl als Kind im Jahre 1945 wahrgenommen hatte. Erst jetzt, als Oma einer dunkelhäutigen Enkelin, hat Julianes Mutter ein genaueres Verständnis davon erhalten, was Rassismus bedeutet.

Heute sagte Juliane, sie müsse „einen Schutzengel gehabt haben“, dass sie damals, in den 1980er Jahren, im Berlin der Immobilienspekulation, Demonstrationen und Hausbesetzungen „nicht irgendwie“ links-terroristisch oder drogenabhängig wurde. Denn dies geschehe so rasch, wenn man von Familie und Umfeld her „keine gute Struktur mit bekommen hat“, wie dies sowohl bei ihr selbst als auch bei den jungen Klient*innen der Fall war, mit denen sie in ihren sozialtherapeutischen Theater-Workshops arbeitet.

Eine konstruktive innere Radikalität sei ihr aber immer noch geblieben: „Ich bin radikal interessiert an Menschen und Geschichten“. Deshalb hat Juliane aus persönlicher Berufung ihre Arbeit mit Gewaltstraftätern begonnen, obwohl sie als Schauspielerin ohne viele Umstände mehr Geld hätte verdienen können. Umso erfolgreicher ist Juliane mit ihrem Vorgehen, gerade dort, wo andere Maßnahmen fruchtlos blieben. Insbesondere die politische Bildung, die „Heißer Stuhl“-Methode oder die Gefängnispsychologie hatten bei vielen ihrer Klient*innen „auf Granit gebissen“ – und haben manchmal sogar verdeckt sadistisch agiert.

Juliane unterstreicht, dass es bei dieser Arbeit vor allem darauf ankäme, sich selbst als Person zu öffnen, mit den Teilnehmer*innen „in Kontakt zu gehen“ und sich „berühren zu lassen“. Wenn mit den Teilnehmer*innen eine freiwillige und vertrauensvolle Übereinkunft für einen gemeinsamen pädagogischen Prozess erarbeitet wurde (etwa im Rahmen einer Justizanstalt) dann, sagt Juliane, habe sie stets bemerkt, dass „Nazis auch nur Menschen mit Leidenschaft und Passion sind“, die eigentlich immer aus sehr belastenden Familienverhältnissen kommen. Wie alle Menschen sind sie genau dort, an ihrer „Leidenschaft“, am besten zu erreichen, weshalb man jedem einzelnen als Mensch unbedingte Offenheit und Respekt entgegenbringen müsse.

Theater- und Gewaltpräventions-Arbeit sei sehr emotional und persönlich; sie braucht deshalb großes Vertrauen und einen geschützten, nach außen hin vertraulichen Rahmen. Kolleg_innen die dergleichen Arbeit ausführen wollen, müssten vor allem eine große Neugierde und Offenheit für alle möglichen Menschen haben. Sie sollten allen Klient*innen gleichermaßen ein „Ich begeistere mich für Dich“ entgegenbringen können (‚vorausgesetzt dass Du die Begeisterung zulässt und mit in die gemeinsame Arbeit einsteigst‘). Juliane erinnert sich, dass auch ein ideologisch sehr verhärteter junger Mann, den politische Bildung und Gefängnispsychologie überhaupt nicht erreichen konnte, über die Theaterarbeit aus der rechten Szene ausgestiegen ist.

Jedoch wäre für sie als institutions-externe Praktikerin eine gute Unterstützung vonseiten der Anstalt sehr hilfreich. Leider sei dies häufig nicht voll gegeben. Juliane sagt, wenn man so persönlich und intensiv arbeite wie sie und damit in Schulen und Gefängnisse gehe, „dann werden dich einige Kolleg_innen früher oder später hassen“.

In vereinzelten Fällen sind Juliane auch die Grenzen von intensivpädagogischer (Theater-) Arbeit deutlich geworden. Denn manchmal träten junge, rechtsextremistische Männer mit ernsten Psychopathologien in Erscheinung (tiefe Beziehungsstörungen, Affektkontrolle, Sadismus). Sie bedürften im Grunde einer psychiatrische Behandlung und sind für den Regelstrafvollzug nicht geeignet. Der ganz überwiegende Großteil ihrer Klienten sei jedoch gut zu erreichen.

Auch ist Juliane in ihrer Arbeit immer deutlicher geworden, wie sehr die geopolitischen Kriegsereignisse (z.B. Ex-Jugoslawien, Syrien, Ukraine, Nordafrika) dazu führen, dass die jungen Leute hierzulande auf extremistische und gewaltaffine Lebensbahnen geraten (was oft auch durch unbewusste transgenerationale Wirkungen innerhalb der Familien erfolgt). „Das wird weiter zunehmen“, sagt Juliane – und kaum jemand in Schulen und Gefängnissen sei darauf ausreichend vorbereitet. „Hier brauchen wir einen größeren Plan“, denn wenn wir so weitermachen wie bisher, „werden wir (gesellschaftlich) Schiffbruch erleiden“.




 

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