EDNA legt einen neuen Ansatz der mediengestützten, intensiv-pädagogischen Arbeit mit jungen Menschen vor, die sich radikalisiert haben und anfällig dafür sind, extremistische und gruppen-bezogene Hassdelikte zu begehen und für terroristische Akte rekrutiert zu werden. Die bisher eingesetzten Medienprodukte – unterrichtliche Aufklärungsfilme, ergreifende Video-Bekenntnisse sowie pro-demokratische Kampagnen in Internet und sozialen Medien – haben sich für diese Zielgruppe als nicht wirksam bzw. als eher kontraproduktiv erwiesen. Unzweifelhaft gilt jedoch: Ehemalige Extremist_innen/Täter_innen, ihre Angehörigen und Freunde, Vertrauenspersonen des jeweiligen Sozialumfelds, ferner die Opfer von hass- und gewaltförmigen Übergriffen, auch die mit den Täter_innen arbeitenden Fachkräften der Sozialtherapie und Reintegration – wenn man all diese Personengruppen auf gute Art befragt, haben sie viele eindrückliche Erlebnisse und Einsichten zu erzählen. Umso wirksamer mögen diese – deradikalisierenden – Erzählungen sein, um junge Menschen dabei zu unterstützen, sich aus extremistischen und von Hass bestimmten Lebensformen zu lösen.
Die EDNA Materialien wurden für pädagogische und sozialtherapeutische Praktiker_innen entwickelt, die in der rehabilitativen Gewalttäterarbeit und Deradikalisierung – sowie in der sozialarbeiterischen oder schulischen Prävention von gewaltförmigem Extremismus tätig sind. Die Zielgruppe der EDNA-Arbeit sind junge Menschen, die in verschiedener Weise und unterschiedlichen Deliktformen an gewaltsamem Extremismus und gruppenbezogenem Hass beteiligt gewesen sind. Ferner mögen sie aggressives anti-soziales Verhalten und (selbst-)destruktive Handlungsmuster aufweisen, die zudem mit Vorstellungen von Überlegenheit und Minderwertigkeit einhergehen. Die EDNA Materialien eignen sich für Interventionsansätze, die den Prinzipien der prozesshaften, partizipativen und narrativen Arbeit folgen. Weniger geeignet sind sie für kognitiv-behaviorale Verfahren, die sich in der Deradikalisierungsarbeit als kaum wirksam erweisen haben.
Narrativer Austausch meint, dass eigen-erlebte Begebenheiten erzählt werden, an denen die Gesprächspartner selbst direkt beteiligt waren. Narrative Interviews meiden deshalb Ursachen- und Detailfragen (warum, wann, wo, was). Sie konzentrieren sich auf die subjektive Sicht und individuelle Erzählweise der Person (wie). Argumente, Hypothesen oder ideologische Auseinandersetzungen sind mit dem narrativen Modus kaum vereinbar. Schon deshalb, weil eine persönlich empfundene Selbsterzählung schlechterdings nicht bestritten oder debattiert werden kann, wie man das etwa bei Argumenten tut. Erzählungen in diesem Sinn erschließen sich nur durch persönliches Zuhören, das in „ko-narrativer“ Weise empathisch Anteil nimmt und engagiert nachfragt. Deshalb distanziert sich EDNA von den üblichen Konzepten des „Gegen-Narrativ“/“Counter-narrativ“ und erkennt in ihnen ein grundsätzliches Missverständnis darüber, wie Deradikalisieurung funktionieren kann.
Das Sprechen im persönlich-narrativen Modus ist von ganz anderer Art, als das Argumentieren oder Diskutieren. Wenn wir über eine Begebenheit, die wir selbst erlebt haben, Schritt für Schritt erzählen und uns ein aufmerkamer Zuhörer darin begleitet, dann ist dies beinahe so, als kehrten wir für Momente in das originale Erlebnis zurück. Dieses Wiedererleben kann emotional intensiv, entlastend und lehrreich sein; und es wird das Vertrauen zum Gesprächspartner und zu sich selbst stärken. Vor allem aber wohnt dem Erzählen eine große therapeutische Kraft inne. Nur indem wir uns betreffende Schlüsselerfahrungen erzählen und erzählend neu erschließen, können wir schwierige persönliche Veränderungsprozesse in Gang setzen – sei es, um sich vom gewaltförmigen Extremismus zu lösen und friedliche Lebensweisen zu beschreiten, oder sei es mit Blick auf andere Schritte der individuellen Weiterentwicklung.
EDNA bietet eine speziell geordnete Sammlung von Audiosequenzen aus narrativen Interviews, die mit ehemaligen Extremist_innen/Täter_innen, ihren Angehörigen und Freunden, mit Opfern von gewaltförmigen Übergriffen sowie mit Fachkräften der Resozialisierung geführt wurden. Diese Sequenzen thematisieren lebensweltliche Erfahrungen, biographische Themen der Familie, Geschichten aus der Clique, Vorstellungen über Geschlechterrollen und soziales Zusammenleben, Schilderungen von Gewalttaten sowie persönliche Erfahrungen aus Rehabilitation und Sozialtherapie. Hierzu werden Materialien zur Hintergrundinformationen und Begriffserläuterung beigefügt. Pädagog_innen und Trainer_innen können diese Audiosequenzen und Materialien in ihrer direkten Arbeit mit den Klient_innen einsetzen, um Prozesse der Distanzierung von gewalttätigem Extremismus und gruppenbezogenem Hass anzustoßen und eine Entwicklung zu friedfertigen, empathischen und menschenrechtlichen Grundhaltung zu unterstützen. Die Praktiker_innen können hierbei zusammenhängende Interviews in ihrer Gänze heranziehen oder mit einer themenbezogenen Auswahl an kurzen Audiosequenzen arbeiten. Ferner bietet sich an, Workshops einzurichten, in denen die Teilnehmer_innen nach dem Vorbild des vorliegenden Materials selbst Interviews führen und medial bearbeiten. Hierbei erlernen sie Fertigkeiten der Interviewführung und technischen Aufbereitung. In einer weiteren Variante lassen sich auch fiktionale Narrative – wie Filme/ Bücher/ Songs etc. – zum Gegenstand machen, die die Teilnehmer_innen selbst gerne sehen/lesen/hören. Diese Interviews machen die subjektiven Rezeptionserfahrungen nachvollziehbar, die die Interviewten mit den von ihnen geschätzten Filmen/ Büchern etc. machen, und wie diese Erfahrungen mit der persönlichen Biografie und dem Abgleiten in gewalttätigen Extremismus zusammenhängen.